Sprungschanzen Gibswil im Zürcher-Oberland

Willkommen bei den Sprungschanzen Gibswil

Die ganzjahres Skisprunganlagen im Zürcher-Oberland.


Manchmal kommt alles anders - anders als man denkt

Rea Kindlimann erreicht an den OPA-Spielen 2017 in Hinterzarten den 6. Rang. Es ist das einzige Schweizer Top10-Ergebnis in diesem Jahr. Ein Top10-Platz für einen Schweizer Skispringer war in den letzten Jahren eher die Ausnahme und wer die Geschichte von Rea kennt, weiss, dieser 6. Rang ist etwas ganz Besonderes...für sie und für uns.



Juli 2012. Es ist Mittwochnachmittag und ich stehe an der kleinen Schanze in Gibswil. Rea ist auch da. Es sind zwei Springer da, mehr nicht. Eigentlich ist Rea nur da, weil Sara auch da ist. Skispringen ist ihr gar nicht so wichtig. Und sie ist da, damit es zwei Springer sind und nicht nur einer allein. Vielleicht ist Rea auch ein bisschen wegen mir da. Man weiss es nicht. Vor zwei Wochen hat sie bei der Eröffnung der Panoramaschanzen ihren ersten Sprung gemacht. Mit Alpinski und einem uralten Carrera-Helm auf dem Kopf. Den hat sie wahrscheinlich von Papa. Der ist auch mal Ski gesprungen. Jetzt sitzt sie oben auf dem Balken, immer noch den uralten Carrera-Helm auf dem Kopf. An den Füssen hat sie aber bereits Sprungskis. Marke Germina. Und einen alten Sprunganzug. Sie schaut nach oben in die Luft. Ihre Ski wackeln hin und her. Man weiss nicht so genau, was in ihr vorgeht. Ich streck den Arm in die Höhe und winke langsam ab. Sie hat es nicht gesehen. Ich rufe «Rea» und winke nochmals ab. Wie vom Blitz getroffen schaut sie zu mir und fährt innert Sekundenbruchteilen los. Ihr Kopf wackelt den ganzen Anlauf hindurch hin und her. Und hin und her. Dann kommt der Schanzentisch und schwupps ist er auch schon vorbei. Knapp verpasst. Irgendwie streckt sie dann doch noch ihre Beine und ihre Arme fliegen weit nach oben in die Luft. Hoppla und schon kommt die Landung. Nach einem Hüpfer auf 6 Meter. Rea ist fast 10 Jahre alt. Rea lebt im Moment. Sie weiss nicht, was für Zeit es ist. Sie weiss auch nicht, was für ein Tag heute ist. Es ist ihr egal. Und in ihrem Kopf ist immer ein bisschen Chilbi.

Oktober 2012. Wir haben einen Wettkampf in Wildhaus. Rea kommt auch mit. Weil sie schon relativ alt und in Gibswil bereits über die HS25 gesprungen ist, haben wir sie auch in Wildhaus auf der 25er angemeldet. Sie macht ihren ersten Trainingssprung. Sie ist nervös. Ich winke ab und sie manövriert sich in die Spur. Sie hat Angst und die Position wandert immer weiter nach hinten. Beim Schanzentisch streckt sie irgendwie die Beine und hat schon beim Absprung mächtig Rücklage. Die 25er in Wildhaus hat ein altes Profil und es spickt die Springer hoch in die Luft hinaus. So auch Rea. Sie dreht, aber in die falsche Richtung. Das gibt einen Rückwärtssalto. Ganz herum schafft sie es aber nicht. Sie landet irgendwo auf dem Rücken. Mein Atem stockt. Mein Herz rast. Ich habe die Landung nicht gesehen, weil man vom Trainerturm aus die Landung nicht sehen kann. Nach ewig langen Sekunden rutscht sie unten aus dem Auslauf heraus. Sie steht gleich auf. Es geht ihr gut. Sie packt ihre Ski und hält kurz inne. Danach läuft sie wieder hoch. Bei mir angekommen, zittert sie. Ich sage «Rea, wir machen jetzt ein paar Sprünge auf der 10er. Danach schauen wir.» Rea zottelt mir hinterher auf die 10er. Sie legt die Ski auf den Boden und fragt: «Kann ich den Wettkampf auch auf der kleinen Schanze machen? Ich will nicht mehr auf die grosse Schanze.» Ich nicke und sage: «Ja, Rea, das ist kein Problem.» Sie sagt nichts, aber ihre Blicke verraten, sie ist mir in diesem Moment unendlich dankbar.

Rea ist 10 Jahre alt. Sie will Skispringen. Oder sagen wir es so. Sie will einfach dabei sein. Das Skispringen ist ihr nicht so wichtig. Sie ist dabei, weil es was zu erleben gibt und weil es immer lustig ist. Beim Training gibt es immer ein bisschen Action. Wir stehen an der Schanze in Gibswil. Sara und ich. Es ist Herbst 2012 und es sind jetzt immerhin schon drei bis vier Springer am Mittwochnachmittag. Manchmal ist Rea auch nicht dabei. Weil gerade irgendwo ein Geburtstagsfest ist und das ist ihr wichtiger. Dann stehen wir halt ohne Rea an der Schanze. Und geniessen die Ruhe, zwei Stunden so ganz ohne Rea.

Irgendwann. Manchmal mache ich mit Rea Hausaufgaben. Aber es nützt nicht viel. Sie braucht einfach jemanden, der neben ihr sitzt und ihr zuhört und sie bestätigt. Sie hat kein Selbstvertrauen. Sie will nicht alleine an einem Tisch sitzen. Sie will Menschen um sich herum. Ich mache mit ihr Hausaufgaben. Es geht lange, sehr lange. Nur schon bis sie ihre Siebensachen beisammen hat. Sie fragt bei jeder Antwort, ob das auch richtig sei. Eigentlich löst sie gar nichts selbst. Es ist mehr ein Ratespiel. Und für dieses Ratespiel braucht sie Menschen um sich herum. Dann muss Rea aufs WC. Sie hüpft davon. Sara ist verzweifelt. Ich bin auch ein bisschen verzweifelt. Ich sage zu Sara: «Egal was passiert, Rea wird ihren Weg gehen.» Sara nickt. Irgendwann nach langer Zeit kommt Rea zurückgehüpft. Sie sitzt wieder auf ihren Stuhl, aber nicht wie ein normaler Mensch. Sie sitzt so da, als könnte sie jeden Moment vom Stuhl fallen. Sie lächelt uns an. In ihrem Kopf ist wieder Chilbi.

Winter 2016. Ich sitze bei Kindlimanns am Tisch. Wir diskutieren über Rea. Ich sage zu Sara, dass Rea nicht mehr zweimal in der Woche ins Geräteturnen gehen kann. Immer am Montag nach dem Geräteturnen hat sie irgendwelche Schmerzen und ist völlig ausgepowert. Das Sprungtraining am Dienstag ist dann für die Katz. So bringt es nicht viel. Sara versteht mich. Aber sie sagt auch, dass wenn Rea mit dem Geräteturnen aufhört, hat sie gar nichts mehr für später. Den Kollegenkreis aus dem Geräteturnen. Sara glaubt noch nicht an eine grosse Skisprungkarriere von Rea. Ich weiss halt auch nicht. Einige Wochen oder Monate später komme ich bei Kindlimanns zur Tür rein. Sara lächelt mich an und sagt: «Wir haben eine gute Nachricht für dich. Rea macht im April ihr letztes Training im Geräteturnen.» Irgendwie freue ich mich ein bisschen. Irgendwie weiss ich aber auch, dass ich eine gewisse Verantwortung für diese Entscheidung zu übernehmen habe. Ein Zwiespalt halt. Das haben schwierige Entscheidungen so an sich.

Sommer 2016. Wir haben Training an der Schanze in Gibswil. Rea ist auch da. Die Kinder diskutieren gerade, welchen Ski sie gerne springen würden. Rea möchte unbedingt einen Verivox-Ski. Sie schaut mich mit grossen Augen an. Ich frage sie, was sie mir dafür bietet. Sie meint, eine Bronzemedaille an der Schweizermeisterschaft. Ich sage ihr, das sei zu wenig. Es müsse mindestens die Silbermedaille sein. Sie protestiert zuerst, aber ist dann doch einverstanden. «Und was habe ich eigentlich davon, wenn du Silber holst?», frage ich sie. Ihre Antwort: «Du bekommst von mir eine Oreo-Milka-Schokolade.» Das klingt fair. Der Deal kommt zustande. So wirklich Angst habe ich nicht, dass ich ihr einen Verivox-Ski besorgen muss.

März 2017. Ich stehe in Hinterzarten an der Schanze. Es sind OPA-Spiele. Ich schaue nach oben. Rea sitzt auf dem Balken. Sie kontrolliert ihre Bindung. Dann sitzt sie da, ruhig und voll fokussiert. Rea ist jetzt 14 Jahre alt. Auf dem Kopf trägt sie einen Uvex-Helm. An den Füssen einen wunderschönen Verivox-Ski. Den Sprunganzug hat sie von Swiss-Ski letzten Sommer bekommen.
 


Sie schaut zu mir. Die Ampel ist immer noch gelb. Ich schaue nach links auf die Windfähnchen. Leichter Aufwind. Perfekte Bedingungen für einen weiten Flug. Die Ampel springt von gelb auf grün. Ich winke sofort ab. Rea stösst sich kraftvoll vom Balken ab und nimmt dynamisch ihre Anfahrtsposition ein. Schwerpunkt vorne, langer Rücken, lange Arme. Wir haben es in den letzten Monaten 1000 Mal durchgespielt. 1000 Mal habe ich ihr gezeigt, wie ich es gerne möchte. Sie weiss, wie es geht. Rea beschleunigt von 0 auf 83 km/h in kürzester Zeit. Sie fährt auf den Schanzentisch, die Beine drücken ab, der Oberkörper fliegt weiter, die Arme bleiben ruhig. Sie kann das. Sie hebt ab, die Hüfte steigt. Der Ski kommt, aber nicht zu stark, genau richtig. Sie ist sofort nach dem Schanzentisch in der richtigen Flugposition. Rea segelt über den Vorbau.
 


Sie fällt nicht, sie fliegt einfach weiter und weiter und weiter. Irgendwo weit unten setzt sie zur Telemark an. So genau sehe ich das von hier nicht. Rea fährt unten über die Sturzlinie und bremst langsam ihre Fahrt ab.

Rea fliegt auf 64 und 67.5 Meter. Bei beiden Sprüngen hätte sie auf 70 Meter oder sogar weiter springen können. Aber irgendwie ist das jetzt egal. Das mit dem Flug müssen wir noch üben. Rea erreicht bei den OPA-Spielen den 6. Rang. 30 Springerinnen aus sechs Nationen waren dabei. Die Rangverkündigung haben wir verpasst. Wir dachten, es werde wohl irgendein Platz zwischen 10 und 15. Mit dem haben wir einfach nicht gerechnet. Mit dem konnten wir nicht rechnen.

Rea weiss genau, was für ein Tag heute ist. Es ist ihr nicht egal. Dieser Tag ist ihr wichtig. Skispringen ist ihr wichtig. Rea lebt nicht mehr nur im Moment. Rea hat Selbstvertrauen. In ihrem Kopf ist nur noch ganz selten Chilbi.

Manchmal kommt alles anders…anders als man denkt.

Jetzt ist in meinem Kopf Chilbi.

Danke, Rea.

#andthestorycontinues




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